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Hagen Fleischer: Krieg und Nachkrieg - Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert / M.L.

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2020-05-23 2020-05-23 23.05.2020

Denjenigen, die an den Themen Deutsche Besatzung in Griechenland, Griechischer Widerstand im Zweiten Weltkrieg, Deportation und Vernichtung der griechischen Juden interessiert sind, braucht man den deutsch-griechischen Historiker Hagen Fleischer nicht mehr vorstellen. 1944 in Wien geboren, wählte er 1977 Griechenland als seinen Lebensmittelpunkt, erwarb 1985 auch die griechische Staatsbürgerschaft und war jahrzehntelang als Hochschullehrer an der Universität Kreta und an der Nationalen und Kapodistrias-Universität in Athen tätig.

Hagen Fleischer gilt als profunder Kenner der deutsch-griechischen Zeitgeschichte. Unter dem Titel „Krieg und Nachkrieg – das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert“ hat er im März 2020 eine Sammlung von elf seiner Aufsätze vorgelegt, von denen sechs bisher nur in griechischer Sprache veröffentlicht waren. Die Aufsatzsammlung gliedert sich in die Abschnitte Krieg und Besatzung, Kontinuitäten, Autobiografisches sowie den Anhang, der ein Werkeverzeichnis der deutschsprachigen und englischen Schriften des Autors, Drucknachweise, Verzeichnis der Abbildungen und ein Personenregister umfasst.

Einen umfassenden Überblick über die deutsche Besatzung und den griechischen Widerstand gibt der umfangreichste Aufsatz „Besatzung und Widerstand 1941 – 1944“. Anschließend geht der Verfasser auf die „Kontakte zwischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand“ ein, bevor er im Aufsatz „Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-Kreta“ die diesbezüglichen Vorstellungen des Oberkommandos der Wehrmacht untersucht: Auch „für den Frieden ist auf die große Bedeutung der Insel Kreta in deutscher Hand besonders hinzuweisen und der politischen Führung die Erhaltung Kretas in deutschem Besitz im seestrategischen, wirtschaftlichen und politischen Interesse der großdeutschen Belange dringend anzuraten“ (S. 158).
Den Holocaust an den griechischen Juden hat der Aufsatz „Griechisches Judentum und Deutsches Reich“ zum Thema: „Nahezu 60.000 Juden waren aber auf höchst kalkulierte und systematische Weise brutal ermordet worden: Rauch und Asche in den Krematorien von Auschwitz und Treblinka“ (S. 198).

Im Beitrag „Deutsche Kränze auf griechischem Boden“ über die Teilnahme deutscher Amtsträger an griechischen Gedenkveranstaltungen gibt Fleischer die Meinung eines ehemaligen Veteranen der Kämpfe auf Kreta wieder: „So verlangte der durch die Kämpfe auf Kreta bekannte General Ramcke 1951 auf einem Treffen von 4000 ehemaligen Fallschirmjägern und anderen Veteranen in Braunschweig einen generellen Verzicht auf die Verfolgung von ’angeblichen’ Kriegsverbreche(r)n, die Freilassung aller Inhaftierten, sofortige Einstellung der ’Greuelpropaganda zu Lasten der Wehrmacht und der SS’ unter gleichzeitiger Anerkennung des Umstands, dass alle nur ihre Pflicht erfüllt hätten“ und fährt fort: „Zweifellos waren die deutschen Amtsträger irritiert über die zahlreichen Gedenkfeiern, namentlich an den runden Jahrestagen der übelsten Massaker“ (S. 248).

Im Aufsatz „Unter der Militärdiktatur“ stellt Fleischer das Dilemma der deutschen Kulturdiplomatie während der Militärdiktatur dar und spart auch nicht mit Kritik an der Position der deutschen philhellenischen“ Intelligenz zum Obristenregime: „So agierten etwa in der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften lokale Vorstandsvorsitzende unverhohlen als Propagandisten der ’Nationalen Revolution’ des 21. April 1967“ (S. 259).

Im Beitrag „’Wiedergutmachung’ in Griechenland“ macht Fleischer kein Hehl aus seiner eigenen Position in dieser Frage: „Der Verfasser hat daher bereits seit den 90er-Jahren, lange vor der Zuspitzung der diesbezüglichen Kontroverse, öffentlich, aber auch als zeitweises Mitglied zweier Entschädigungskommissionen des griechischen Staates gegenüber deutschen Botschaftern und griechischen Ministern für einen offiziellen Reparationsverzicht plädiert. Erste Voraussetzung sei allerdings, dass Deutschland in essentielle Gespräche einwilligt zur Begleichung des vieldiskutierten ’Kredits’, der den Griechen von 1942 bis 1944 in Monatsraten abgepresst wurde“ (S. 302).

Der Abschnitt „Autobiografisches“ enthält zwei Aufsätze. In den „Erinnerungen an die ’Causa Waldheim’“ berichtet Fleischer über seine Mitarbeit in der internationalen Historikerkommission zur Prüfung der Vorwürfe gegen den Generalsekretär der Vereinten Nationen und späteren Bundespräsidenten Österreichs Kurt Waldheim. Im Aufsatz „Am Anfang war der Krieg“ schildert Fleischer seine deutsche Nachkriegskindheit und Jugend.
Seine Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin (1978 unter dem Titel „Griechenland 1941 – 1944“ erschienen) sollte ursprünglich von „Dänemark im Zweiten Weltkrieg“ handeln. Als Fleischer die Änderung des Themas mit seinem Doktorvater diskutierte, warnte dieser ihn, er solle keine Energie auf eine solche „Fußnote in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ verschwenden (S. 341). Heute können wir uns glücklich schätzen, dass Hagen Fleischer sich dieser „Fußnote“ angenommen hat.

Hagen Fleischer, Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert. Herausgegeben von Chryssoula Kambas. Übersetzung aus dem Griechischen von Andrea Schellinger. Böhlau Verlag, Köln 2020, 366 S., 30.- Euro